Bericht aus der Veranstaltung
Unsere belgische Schwesterpartei, die PTB (Parti du Travail de Belgique) wächst seit Jahren kontinuierlich – eine Ausnahme in Europa. Grund genug für die SL, unsere belgische Genossin Alice Bernard einzuladen und nachzufragen, wie sie den Aufwärtstrend erklärt und wie die PTB in der belgischen Arbeiterklasse verankert ist. Alice gab den TeilnehmerInnen zunächst einen Überblick über die Geschichte der PTB und über das belgische Parteiensystem. Aufgrund der drei offiziellen Landessprachen (Flämisch, Französisch und Deutsch) gibt es jede Partei mindestens zwei Mal: also je eine flämische und eine französische Sozialdemokratie, Grüne Partei, Liberale Partei etc. Diese Parteien sind tlw. programmatisch sehr unterschiedlich. In Flandern gibt es zudem noch die rechts-nationale Partei (NVA) und faschistische Partei (Vlaams Belang), die dort leider recht erfolgreich sind. Die PTB ist die einzige landesweite Partei – das heißt, es ist sowohl in Flandern, in Wallonien oder Brüssel als auch im deutschsprachigen Teil die gleiche Partei. Sie startete als maoistische Kleinstpartei vor über dreißig Jahren.
Der Erfolg der PTB ist festzumachen, an einer klaren einheitlichen neuen Strategie, die seit einigen Jahren gefahren wird: modernes Auftreten, Öffnung hin zur Gesellschaft, Fokussierung auf die Probleme der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger, wofür die PTB regelmäßig Umfragen unter den BürgerInnen durchführt. Geholfen hat der PTB auch, dass die belgische Sozialdemokratie in heftige Skandale verwickelt war und dass in Belgien Wahlpflicht herrscht. Die Ergebnisse sprechen für sich -die PTB ist eine der ganz wenigen linken Parteien in Europa, die direkt und nachweisbar vom Niedergang der Sozialdemokratie profitieren: Bundesparlament (2010: 1,6%, 2014: 3,7%, 2019: 8,6%), Wallonien (2009: 1,2%, 2014: 5,7%, 2019: 13,6%), Flandern (2009: 1%, 2014: 2,5%, 2019: 5,3%), Brüssel (2009: 0,8%, 2014: 3,41%, 2019: 13,4%).
Die PTB verstehe sich klar als Arbeiterpartei, die für den Sozialismus kämpfen möchte, verriet uns Alice. Deswegen sei es besonders wichtig, sich auf die Interessen der Mehrheit – die Beschäftigten und „normalen Leute“ – zu konzentrieren. In Belgien sind sehr viele Beschäftigte Mitglied der drei großen Gewerkschaften (sozialistisch, christlich und liberale Gewerkschaften). Das liegt auch daran, dass die Gewerkschaften eine Rolle bei der Auszahlung von Sozialleistungen spielen. In allen drei Gewerkschaften sind aktive Mitglieder der PTB zu finden. Die PTB fördert gezielt den Aufbau von Betriebsgruppen in großen bis mittleren Unternehmen, um dort, wo die Menschen zusammen arbeiten, präsent zu sein – z.B. durch Verteilaktionen vor Betrieben, bei denen spezifischen Probleme der Beschäftigten des Unternehmens politisch angesprochen/eingeordnet werden. Um sich in echt, aber auch symbolisch nicht von der Mehrheit der Bevölkerung zu entfernen, hat die PTB beschlossen, dass Abgeordnete der Partei nur in etwa so viel verdienen dürfen, wie normale Beschäftigte: Alice ist seit Ende Mai 2019 Abgeordnete in Wallonien und erhält eine Diät von ca. 8000€ brutto, behält aber nur knapp 2000€ netto. Der Rest fließt an die Partei. Außerdem achtet die PTB darauf, dass die Partei nicht „abhebt“ und auch die „einfachen Leute“ vertreten sind: Von den nunmehr 12 Abgeordneten im Bundesparlament, haben vier kein Abitur, sondern waren als Putzfrau, Kassiererin bei ALDI oder Elektriker gewerkschaftlich organisiert. Sie sprechen die Sprache der Mehrheit der BelgierInnen und kennen deren alltägliche Probleme – auch, weil sie weiterhin in etwa genauso viel verdienen.
Die PTB verbindet Elemente traditioneller Arbeiterparteien (Fokus auf Bevölkerungsmehrheit, lebendige Vorfeldorganisationen, Kaderschulung, klare Strategie auf Basis von Vorstandsbeschlüssen) mit modernem Auftreten und frechen Aktionen. Bemerkenswert ist, dass sie es versucht auch gegen den liberalen Mainstream, stets aus Klassenperspektive zu agieren: so ist die PTB stark bei den Klimaprotesten der vergangenen Monate dabei gewesen, aber ist eine ausgesprochene Gegnerin von einer CO2-Steuer oder einer höheren Benzinsteuer, da dies überdurchschnittlich die „normalen Leute“ statt die Superreichen und die Großkonzerne belasten würde, die stattessen für die Klimapolitik bezahlen sollten.
Die TeilnehmerInnen des Workshops waren hochgradig interessiert an dem Vorgehen der belgischen GenossInnen und stellten viele Fragen. Auch wenn Deutschland anders ist als Belgien, so können wir sicherlich einige Anregungen mitnehmen und wollen auch in Zukunft in engem Austausch mit der PTB bleiben.
Constantin Braun